Bi Motor Scirocco
Bericht  und ein Teil der Bilder aus der auto motor und sport 14/1983

Ausgehend von der hausgemachten Überzeugung, daß dem deutschen Autofahrer Leistung derzeit über alles geht, pflegt das VW-Werk die Entwicklung zweimotoriger Autos nun schon im dritten Jahr. Entwicklungspartner für diese mit doppelter Kraft geladenen Autos war von Anfang an der Wiener Rennwagenbauer Kurt Bergmann, der bereits zu Formel V-Zeiten den erfolgreichen Umgang mit schnellen Volkswagen pflegte.
Schon 1981 baute Bergmann einen zweimotorigen Jetta, 1982 führte er die gleiche Operation an einem Scirocco durch, dessen getunte 1,8 Liter-Triebwerke miteinander 360 PS (265kW) leisteten.
1983 ließ Dr. Ulrich Seifert für seine Forschungsabteilung einen weiteren Scirocco-Bimotor anfertigen. Dies geschah nicht, weil es die VW-Forschung nun plötzlich noch eiliger hat als bisher; als Grund nennt Forscher Seiffert die gebotene Möglichkeit des Studiums von Regelsystemen, beispielsweise elektronische Drosselldappensteuerung, Anfahrschlupfbegrenzung oder elektronische Regelung von automatischen Getrieben.
Von der technischen Ausstattung her unterscheidet sich das zweimotorige Forschungsauto gründlich vom letztjährigen Sportprototyp. Was die Motoren betrifft, ist diese dritte Auflage etwas aufwendiger geraten: Vorn und hinten werkelt je ein vierventiliger 1,8 Liter-Motor von Oettinger (der erste Bimotor-Scirocco hatte serienmäßige Zylinderköpfe mit zwei Ventilen) mit einer Leistung von 140 PS (103 kW). Und während beim Prototyp noch zwei über ein Schaltgestänge bediente Fünfganggetriebe mit der Kraftübertragung befaßt waren, hat der Forschungswagen an deren Stelle zwei Dreigang-Automatikgetriebe.
Schon diese beiden getrennt voneinander operierenden Automaten stellten die Regeltechniker vor eine reizvolle, aber bislang noch nicht gelöste Aufgabe. Vorerst war es noch nicht möglich, die Steuerung der Schaltvorgänge so präzise zu synchronisieren, daß beide Getriebe die Fahrstufen bei exakt der gleichen Geschwindigkeit wechseln. Also mußte die Automatik entautomatisiert werden; die Schaltvorgänge erfolgen nicht selbsttätig; der Fahrer muß im Bedarfsfall zum Wählhebel greifen.
Ein weiterer Grund, die Automatik zu entmündigen, war das Ziel, mit diesem Auto Untersuchungen über eine variable Kraftverteilung bei allradgetriebenen Autos anzustellen.
Um eine Differenz zwischen der zu den Hinter- beziehung-weise Vorderrädern geleiteten Kraft hervorzurufen, besitzt der Bi-Scirocco einen zweiten Hebel am Wagenboden, mit dem die größte Drosselklappenöffnung des vorderen Motors bis hinunter zur Leerlaufstellung begrenzt werden kann.
Mithin kann die dem Frontantrieb zugeleitete Kraft beliebig verändert werden. Solche Manipulationen lassen eine Beeinflussung des Fahrverhaltens zu, die für jede Entwicklung von Allradantrieben sehr aufschlußreich ist.
Der grundsätzlich erfreulichen Tatsache, daß in diesem Scirocco alle wesentlichen Dinge gleich zweimal vorhanden sind, stehen allerdings einige praktische Nachteile gegenüber, die eine großzügig bemessene Serienfertigung gelinde in Frage stellen.
Immerhin beraubt der zusätzliche Motor im Heck den Scirocco nicht nur seiner hinteren Sitzplätze, sondern auch noch des gesamten Kofferraums.
Ferner muß sich der Fahrer damit abfinden, daß doppelt so viele Motoren doppelt soviel Lärm verursachen, bei jedem Wechsel doppelt soviel Öl benötigen und bei entsprechender Fahrweise auch doppelt soviel verbrauchen. Das doppelt so hohe Risiko eines Motorschadens wird allerdings durch die Tatsache gemildert, daß in diesem Fall kein Abschleppwagen benötigt wird, ein Reservemotor ist ja vorhanden, während andererseits für ein Reserverad kein Platz mehr übrig war.
Trotz solcher Eigenarten hat das Fahren mit dem zweimotorigen Scirocco durchaus seine Reize. Schon die Ouvertüre ist etwas feierlicher als üblicherweise. Das Drehen des Zündschlüssels bringt zunächst nichts, zuvor muß ein Schalter mit der Bezeichnung „H„ betätigt werden, damit der Anlasser des hinteren Motors mit Strom versorgt wird. Läuft der Triebling im Heck, wiederholt sich die Prozedur mit dem Schalter V„ und dem Frontantriebsaggregat.
Der Erfolg solcher Maßnahmen wird nicht nur akustisch deutlich, sondern auch auf den Instrumenten sichtbar. Jeder Motor hat seinen eigenen Drehzahlmesser, auch die Temperaturen von Wasser und Öl werden getrennt angezeigt. Für die in Anbetracht der 280 PS nicht ganz unwesentliche Geschwindigkeitsinformation muß eine einfache, zentral angeordnete Digitalanzeige genügen.
Die Zahlen dieser Anzeige laufen allerdings heim Beschleunigen nicht ganz so zügig durch, wie es die im Sciroceo installierte Leistung zunächst vermuten läßt. Die recht weite Abstufung der Dreigang-Automaten paßt nicht optimal zu der Charakteristik der sportlichen Oettinger-Motoren, die im unteren Drehzahlbereich etwas verhalten zur Sache kommen. Und überdies bleibt auch noch einiges an Leistung in den beiden Drehmomentwandlern und in den beiden Automatik-Ölpumpen stecken.
Zwei angemessene Fünfganggetriebe wären auch den Forschern lieber. Doch auch für diesen Fall gilt es noch ein Regelproblem zu lösen. Es ist bisher noch nicht möglich, zwei Kupplungen über eine ausreichend lange Betriehszeit absolut synchron zum Eingriff zu bringen.
Das Fahrverhalten des Stereo-Scirocco wird stark durch die beiden Motoren geprägt, die relativ große Massen an den heiden Fahrzeugenden versammeln. Daraus resultiert ein hohes Trägheitsmoment um die Hochachse, das unterstützt vom Allradantrieh, dem Bi-Scirocco einen überaus stabilen Geradeauslauf verleiht. Das Einlenken in Kurven verlangt folglich noch ein bißchen mehr Nachdruck als hei einem nur frontgetriebenen Auto. Nicht zuletzt deshalb sind auch die Manipulationsmöglichkeiten des Fahrverhaltens eingeschränkt; selbst bei reinem Heckantrieb läßt sich ein Übersteuern nur durch beherztes Verreißen der Lenkung provozieren.

Ob der zweimotorige Scirocco je mehr sein wird als ein Forschungsobjekt, bleibt vorerst fraglich. Denn ein Einsatz der gebotenen Potenz im Automobilsport setzt immerhin die Produktion einer Kleinserie von Autos voraus, die ohne Zweifel teurer wären als ein Audi Quattro, die es aber im Sport schwerhaben würden, sich gegen das tauglichere Rezept des Konzernkonkurrenten durchzusetzen.
Wenn es um schiere Kraft und Fahrleistungen geht, dann genügt dem Scirocco auch ein Motor, um eine Menge damit auszurichten. Das Konzept einer Turbovariante des Coups beschäftigte schon vor vier Jahren die Wolfsburger Entwicklungsabteilung.
Das Ergebnis dieser Bemühungen kann sich zumindest auf dem Papier sehen lassen: Der 1,7 Liter-Motor des Prototyps leistet 178 PS (130 kW). Mit diesem Potential lassen sich sehr eindrucksvolle Meßwerte ermitteln, aber es kommt nicht von ungefähr, daß der 220 km/h-Scirocco nicht in Serie ging.
178 PS an den Vorderrädern und ein leichtes Auto dahinter sind schließlich nicht jedermanns Sache. Gründlich übermotorisiert, fährt sich dieser Scirocco auf trockener Straße wie bei Nässe und bei Nässe wie auf Glatteis. Allein mit Fahrwerksverbesserungen vermochten die Wolfsburger Entwickler den zum Wirbelwind entratenen Scirocco nicht zu zähmen , zumal auch der spontan einsetzende Turboschub diese Arbeit nicht eben erleichterte.
Dieses Verhalten war schließlich ein Anlaß zu weiser Umkehr. Die VW-Techniker wählten zur Aufwertung des VW Scirocco einen nicht ganz so starken Vierventilmotor mit einer Leistung von 136 PS (100 kW}.

Diese in Anbetracht der flauen Verkaufszahlen des Scirocco notwendige Aufwertung hat zweifellos von der Erfahrung aus frühen Turbotagen profitiert: Mit dem Turbo lernten die Fahrwerksingenieure die Grenzen des Scirocco kennen, und damit waren sämtliche Voraussetzungen gegeben, ein harmonischeres Topmodell zu  bauen.

Bilder des ersten Bi-Motor Scirocco

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Der zweite Bi-Scirocco, mit Oettinger 16 V Motoren

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Bi-Motorscirocco
und Turboprototyp

Motor des Turbo-
prototyp

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